Mayas Tagebuch by Allende Isabel

Mayas Tagebuch by Allende Isabel

Autor:Allende, Isabel [Allende, Isabel]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Herausgeber: Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG (com)
veröffentlicht: 2012-08-01T22:00:00+00:00


WINTER

Juni, Juli, August

Hätte man mich vor ein paar Wochen nach der glücklichsten Zeit meines Lebens gefragt, ich hätte geantwortet, die sei bereits vorbei, und an meine Kindheit mit meinen Großeltern in dem großen verwunschenen Haus in Berkeley gedacht. Nun allerdings würde ich sagen, dass ich meine glücklichsten Tage Ende Mai mit Daniel erlebte, und sofern keine Katastrophe geschieht, werden sie sich in naher Zukunft wiederholen. Neun Tage habe ich in seiner Gesellschaft verbracht, drei davon mit ihm allein hier in diesem Haus mit der Seele eines alten Zypressenbaums. In diesen traumhaften Tagen hat sich eine Tür in meinem Innern aufgetan, ich habe mich der Liebe genähert, und ihr Licht war so hell, dass ich es fast nicht aushalten konnte. Mein Pop hat einmal gesagt, die Liebe mache einen gut. Einerlei, wen wir lieben, ob wir wiedergeliebt werden oder die Beziehung von Dauer ist. Schon die Erfahrung, zu lieben, verwandelt uns.

Ob ich die einzigen Tage der Liebe in meinem Leben beschreiben kann? Manuel war Hals über Kopf für drei Tage nach Santiago gefahren, angeblich, um etwas wegen seines Buchs zu klären, aber Blanca sagt, er war beim Arzt und hat die Blase in seinem Gehirn untersuchen lassen. Ich glaube, er ist gefahren, damit ich mit Daniel allein sein kann. Wir waren wirklich allein, denn Eduvigis ist nach dem Aufruhr um die Schwangerschaft von Azucena, die sich im Krankenhaus in Castro noch von einer Infektion erholt, nicht mehr zum Putzen gekommen, und Blanca hat Juanito und Pedro verboten, uns zu stören. Ende Mai sind die Tage kurz und die Nächte lang und frostig, ideale Bedingungen, um einander näherzukommen.

Manuel reiste mittags ab und bat uns noch, aus den Tomaten Marmelade zu kochen, ehe sie faulten. Tomaten, Tomaten, wir ertrinken in Tomaten. Tomaten im Herbst, es ist nicht zu fassen. In Blancas Garten wachsen sie in rauen Mengen, und sie beschenkt uns so großzügig damit, dass wir nicht mehr wissen, was wir damit anstellen sollen: zu Soße verarbeiten, pürieren, trocknen, einkochen. Tomatenmarmelade ist eine Verzweiflungstat, keine Ahnung, wem die schmecken soll. Daniel und ich enthäuteten jedenfalls kiloweise Tomaten, schnitten sie klein, entfernten die Kerne, wogen sie und schütteten sie in Töpfe; dafür brauchten wir über zwei Stunden, die aber nicht vergeudet waren, denn zwischen den Bergen von Tomaten lösten sich unsere Zungen, und wir erzählten einander viel. Pro Kilo geputzter Tomaten gaben wir ein Kilo Zucker und etwas Zitronensaft dazu, kochten die Mischung gut zwanzig Minuten unter ständigem Rühren, bis sie eindickte, und füllten sie in saubere Gläser. Die vollen Gläser stellten wir dann noch mal für eine halbe Stunde in kochendes Wasser, dann waren sie, luftdicht verschlossen, bereit, gegen anderes getauscht zu werden, etwa gegen das Quittenbrot von Liliana Treviño und die Wolle von Doña Lucinda. Als wir fertig waren, war es dunkel in der Küche, und das Haus roch köstlich nach Zucker und Holzfeuer.

Wir setzten uns ans Fenster, um in die Nacht zu sehen, hatten ein Tablett vor uns mit Brot, Butterkäse, Manuels Räucherfisch und einer Salami, die Don Lionel Schnake geschickt hat.



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